Entwicklung der Rohkaffeepreise seit 1990: Warum günstig(er) nicht immer gut ist

Was haben Kaffee und Schokolade gemeinsam? Kaffeebohnen und Schoko-Aromen sind natürlich per se ein geniales Match. Aber abseits vom perfekten Zusammenspiel in eurem Latte Macchiato sind Kaffeebohnen und Kakao Rohstoffe, die aktuell wieder günstiger werden. 

Auch wenn günstiger erstmal gut klingt, für sinkende Rohkaffeepreise zahlen andere drauf. Und das sind in diesem Fall die Kaffee-Farmer in den Erzeuger-Ländern. Die „Kaffeekrise“ ist jedoch nicht neu. Seit mehr als 20 Jahren bewegt sich der Markt irgendwo zwischen Überproduktion und Umweltkrisen, Preisschwankungen inklusive.  

Auf meinem Kaffee-Blog teile ich seit 2008 alles rund um Kaffee vom Vollautomaten bis zur Spezialröstung im Coffeeness Kaffeebohnen Test mit euch. Dabei ist es mir besonders wichtig, dass ihr als Verbraucher eine möglichst transparente Kaufentscheidung treffen könnt. Das Problem: Der Kaffeemarkt ist komplex und seine Probleme hausgemacht. 

Deswegen werfe ich in diesem Beitrag einen Blick auf die Entwicklung der Rohkaffeepreise seit 1990 und ob es einen Ausweg aus dem Teufelskreis der Kaffeepreisentwicklung gibt. 

Ein kleiner Disclaimer vorab: Den einen weltweiten Rohkaffee gibt es in dieser Form gar nicht, weil dazu die Kaffeesorten, Vereinbarungen mit den Bauern oder regionalen Bedingungen viel zu unterschiedlich sind. Die ICO (Internationale Kaffeeorganisation) rechnet seit 1990 trotzdem einen Durchschnittswert in US-Dollar pro Pfund (ca. 450 Gramm) zur Orientierung aus.

Die 1990er Jahre: Wie man mit Kaffee Politik machen kann

Kaffee kam Ende des 17. Jahrhunderts in Europa an. Ihn mal eben am Supermarkt an der Ecke kaufen, ist allerdings erst seit Beginn der Massenproduktion in den 1950er Jahren möglich. Schon damals wurden Kaffeebohnen hauptsächlich in Entwicklungsländern produziert, allen voran Brasilien, Indonesien und Kolumbien.

Um die Kaffeeproduktion weltweit zu stabilisieren, führte die Internationale Kaffeeorganisation (ICO) 1962 ein Abkommen ein, das die Produktionsmengen regulierte und den Markt damit vor einem Preisverfall schützte. Vor allem die USA unterstützten das Kaffee-Abkommen, um den produzierenden Kleinbauern ein stabiles Einkommen zu garantieren.

Das klingt erstmal nobel, der Vertrag war jedoch weniger sozial als von einer politischen Agenda motiviert. Während des Kalten Krieges sollte damit der Zulauf der Bauern zu kommunistischen Gruppierungen verhindert werden. Nach dem Ende der Sowjetunion 1989 unterstützen die USA das Abkommen nicht mehr, sodass es schließlich aufgelöst wurde.

Danach führte eins zum anderen:

  • Der Kaffee-Konsum auf der ganzen Welt stieg, Kaffee wurde zum Kultur- und Lifestyle-Produkt
  • Die Anbau-Methoden und Maschinen entwickelten sich weiter und ermöglichten bessere Ernteerträge
  • Die produzierenden Länder konnten so viel Kaffee anbauen und auf den Markt werfen, wie sie wollten 

Zusätzlich stieg ein neuer Player ins Kaffee-Business ein. Die Weltbank förderte den Kaffeeanbau in Vietnam, um mit dem „schwarzen Gold“ die Auslandsschulden des Landes zu begleichen.

Neben politischen Faktoren spielt auch das Klima eine wichtige Rolle für den Kaffeeanbau. Vor allem zu viel oder zu wenig Regen kann zu Ernteausfällen führen und das Angebot beeinträchtigen. Weniger Angebot, steigender Preis? Erstmal ja. Der Rohkaffeepreis stieg von 0,7 US-Dollar im Jahr 1990 auf ein Maximum von 1,4 US-Dollar im Jahr 1995. 

Allerdings weiteten die Kaffeebauern den Anbau immer weiter aus – um vom hohen Preis zu profitieren oder den niedrigen auszugleichen. Die Folge: Es entstand eine Marktsituation von mehr Angebot als Nachfrage und entsprechend sinkenden Preisen.  

Die 2000er Jahre: Markt-Erholung dank Kaffee statt Tee

Anfang des 21. Jahrhunderts sah die Lage nicht gut aus. Während es Vietnam mittlerweile geschafft hatte, sich gemeinsam mit Brasilien rund 50 Prozent am Weltmarktanteil zu sichern, lag der Rohkaffeepreis 2001 auf einem historischen Tiefstand von 0,4 US-Dollar und damit sogar niedriger als im Jahr 1990.

Das hatte weitreichende Folgen für viele Kleinbauern in den Herstellerländern, die seit rund 10 Jahren wirtschaftlich komplett vom Kaffeeanbau abhängig waren. Sowohl die Zunahme von Kinderarbeit auf Kaffeeplantagen als auch Hungernöte, z.B. in Äthiopien, sind direkte Folgen des rasanten Preisverfalls.

Mitte der 2000er Jahre zeichnete sich jedoch eine Wende ab und der Markt begann, sich selbst wieder zu regulieren. Kaffee begann, sich auch in klassischen Tee-Ländern wie China durchzusetzen, was zu einer höheren Nachfrage führte. Auch Spezialitäten-Kaffee wurde zum Hype-Produkt und sorgte für mehr Konsum.

Im Jahr 2005 stieg der Rohkaffeepreis in Deutschland um ganze 25 Prozent an. Dazu kamen eine Reihe von Wetterereignissen, die wiederum das Angebot so verknappten, dass der Rohkaffeepreis selbst die Finanzkrise 2008 relativ stabil überstand und sich zwischen 2008 und 2010 bei 1,1 bis 1,2 US-Dollar einpendelte. 

Die Kaffeepreise seit 2010: Geht Kaffee auch nachhaltig?

Nach der Weltwirtschaftskrise 2008 starteten die Rohkaffeepreise relativ stabil in das neue Jahrzehnt. Nachdem Kaffee keine Politik mehr machen musste und die Nachfrage weiterhin stieg, trat ein anderes Problem in den Vordergrund: das Wetter.

Mal abgesehen von der Pandemie 2020 und der kriegsbedingten Inflation 2022 waren die großen Schwankungen des Rohkaffeepreises nach 2010 fast alle Extrem-Wetterereignissen geschuldet. Kaffee ist eine empfindliche Pflanze, die nur im (sub-)tropischen Klima bei gleichmäßigen Temperaturen und Niederschlag gut wächst. Keine guten Voraussetzungen bei fortschreitendem Klimawandel.

Zwischen regionalen Ernteeinbrüchen durch Dürre oder Frost und Super-Ernten in anderen Jahren war beim Rohkaffeepreis weiterhin Achterbahnfahrt angesagt. Vielleicht stutzt ihr jetzt kurz und fragt euch, warum ihr für das Päckchen Melitta Auslese und den Vorratspack Nespresso-Kapseln trotzdem immer noch (mehr oder weniger) das Gleiche zahlt?

Dafür gibt es verschiedene Gründe:

  1. Kaffee wird an der Börse zum Terminpreis gehandelt: D.h. Käufer und Verkäufer vereinbaren bereits lange vor der Ernte eine Menge und einen Kaufpreis, die dann erst später geliefert bzw. gezahlt werden. Damit sind Kaffeebohnen ein hervorragendes Spekulationsobjekt und Preisänderungen werden maximal verzögert weitergegeben.
  2. Rohkaffee ist nicht gleich trinkfertiger Kaffee: Als Rohkaffee werden die getrockneten und aufbereiteten Kaffeebohnen nach der Ernte bezeichnet. Bevor die in eurer Tasse landen, müssen sie noch geröstet und (hoffentlich frisch in eurer Kaffeemühle oder eurem Vollautomaten) gemahlen werden. Dazu kommen Verpackung, Transport und Co.

Vor allem auf dem Weg vom Rohkaffee zum trinkfertigen Produkte sind so viele Zwischenhändler und Dienstleister involviert, dass der Rohkaffeepreis nur entfernt mit dem Preis für das Bohnenpäckchen vergleichbar ist. 

Zwischen 2017 und 2019 vollführte die Kaffeeindustrie sogar einen regelrechten Zaubertrick: Obwohl der Rohkaffeepreis von 1,3 auf 1,0 US-Dollar fiel und die Nachfrage sogar leicht zurückging, stiegen die Umsätze mit Kaffeeprodukten um mehr als 10 Prozent. Die Kaffee-Branche nennt das „Premiumisierung“ und die Idee dahinter ist gar nicht so doof.

Während ihr Kaffee für zu Hause einfach kauft, zubereitet und trinkt, kann die Industrie mit weiterverarbeiteten Kaffee-Produkten wie Coffee-to-go oder Kapsel-Kaffee bei wesentlich weniger Wareneinsatz viel höhere Umsätze erzielen. Zudem konzentriert sich das Geschäft auf immer weniger globale Zwischenhändler und Exporteure, die bis zu 50 Prozent des Gewinns aus der gesamten Lieferkette abschöpfen.

Damit vergrößert sich die Schere zwischen dem Regal- und dem Einkaufspreis immer weiter – während wir als Verbraucher relativ stabile und bisweilen sogar sinkende Preise wahrnehmen. 

Die Kaffeebauern verdienen immer weniger am Pfund Rohkaffee, während sie von den Folgen des Klimawandels zusätzlich belastet werden – zu denen sie unbewusst auch noch selbst beitragen. Denn wenn für die Ausweitung der Anbaufläche mit der Hoffnung auf mehr Einkommen in Brasilien Regenwälder abgeholzt werden, schließt sich der (Teufels)Kreis.

Die große Frage seit 2010 ist also: Geht Kaffee auch nachhaltig? Und die Antwort ist, jein. Die Kaffeewirtschaft ist komplex und global mit weiteren Wirtschaftszweigen und -system vernetzt. Komplett nachhaltiger Kaffee würde also eine komplett nachhaltige Welt voraussetzen.

Was aber seit 2010 zum Glück immer lauter und auf breiterer Basis diskutiert wird, ist die Frage, wie wir Kaffee nachhaltiger produzieren können. Und das ist eine Entwicklung, die wir als Verbraucher (wenigstens zum Teil) selbstverantwortlich mitbestimmen können.

Fazit: Mein Plädoyer für mehr Qualität, Nachhaltigkeit & eine stabile Entwicklung der Rohkaffeepreise

Auch nochmal ein kurzer Disclaimer zum Schluss: Die Entwicklung der Rohkaffeepreise ist wesentlich komplexer, als ich ihr in einem so kurzen Beitrag gerecht werden kann. Trotzdem braucht es vielleicht nicht immer jedes kleinste Detail, um zu verstehen, welche Bedeutung der globale Kaffeepreis hat und dass die daraus entstehenden Gewinne nicht den Kleinbauern in Brasilien zugutekommen.

Damit wir von Nachhaltigkeit im Kaffeeanbau sprechen können und die Entwicklung der Rohkaffeepreise auch irgendwann die Realität widerspiegelt, sollte nachhaltiger Kaffee folgende Kriterien erfüllen:

  • Ökologische Produktion vom Anbau bis zu Verpackung & Transport
  • Fairer Handel inkl. fairer Löhne für die Bauern & fairer Preise für die Verbraucher
  • Einhaltung sozialer Grundsätze, keine Kinderarbeit & sichere Arbeitsbedingungen
  • Weniger Zwischenhändler für transparente & direkte Handelsketten

Wir sollten uns immer wieder bewusst machen, dass Kaffee kein Agrarprodukt ist, dass wir mit Weizen oder Kartoffeln vergleichen können. Spezielle Anbaubedingungen (z.B. Hanglage) lassen keine maschinelle Ernte zu, sodass Kaffeeanbau dort reine Handarbeit ist. Und deswegen sollte Kaffee auch als genau das verstanden werden – ein Produkt, das seinen Preis wert ist.

Doch der Preis allein sagt noch nicht zwingend etwas über den Nachhaltigkeitsgrad des Kaffees aus. Das gilt leider auch für die meisten Siegel, wie z.B. das UTZ-Zertifikat oder Rain Forest Alliance. Die „Sticker für ein gutes Gewissen“ werden meist von der Branche selbst entworfen, verliehen und (wenn überhaupt) kontrolliert. Oder sie konzentrieren sich auf einen der oben genannten Punkte, vernachlässigen darüber aber den Rest.   

Statt also mit dem Blick am Kaffeepreis zu kleben oder am Supermarktregal auf der Suche nach Kaffee für euren Vollautomaten zwischen Schümli und Café Crema zu wühlen, könnt ihr eure Kaufentscheidung auch nach anderen Kriterien treffen:

Je transparenter ein Hersteller auf der Packung Daten über den Kaffee und seine Herkunft angibt, umso besser könnt ihr den Hintergrund tatsächlich nachvollziehen und nachhaltiger einkaufen. Mein Tipp sind kleine, regionale Röstereien (oder deren Online-Shops), die euch alles vom Kleinbauern bis zum Röstgrad verraten. 

Meine Erwartung ist, dass der Rohkaffeepreis seinen Trend nach oben langfristig gesehen fortsetzen wird. Selbst eine nachhaltigere Kaffeeproduktion und verantwortungsvollere Verbraucher werden den Klimawandel schließlich auf globalem Niveau nicht stoppen.

Aber zumindest können wir durch eine informierte Kaufentscheidung dazu beitragen, dass Kaffee nachhaltiger produziert wird, der Rohkaffeepreis möglichst stabil bleibt und die Gewinnmarge beim Kaffeeverkauf den richtigen Parteien zugutekommt.

By Published On: 12.12.2023Categories: ErnährungKommentare deaktiviert für Entwicklung der Rohkaffeepreise seit 1990: Warum günstig(er) nicht immer gut istTags: , , ,